Jazzhausjournal Mä 1997

jjaug98g.jpg (52134 Byte)Editorial

Dem Standort Deutschland eine Chance

Die Kulturszene, insbesondere die Musiklandschaft, gehört immer noch zu den Aktivposten in unserem Land. Ohne eine funktionierende Wirtschaft wird auch diese Bastion bald in Schwierigkeiten geraten. Wer die PopKomm. ’96 in Köln besucht und sich mit dieser jungen, aktiven, heterogenen, innovativen und recht aggressiven "Gemengelage" konfrontiert hat, kann sich über die Qualität der deutschen Musikschaffenden und deren Output sicher streiten, zweifelsfrei aber "lebt" die Szene. Etwas, das man von der derzeitigen Wirtschafts- und Technologiepolitik in unserem Lande nicht behaupten kann. Ich war als Zuhörer bei einer Podiumsdiskussion der Friedrich Ebert Stiftung zum Thema: "Innovationspolitik am Standort Deutschland" dabei, auf der Suche nach Antworten.

Wolfgang Clement, Minister für Wirtschaft, Technologie und Verkehr in NRW und einer der ernsthaften "Nachdenker" in der SPD, ist "hysteriesiert" wenn er an den Standort Deutschland denkt und zählt eine beängstigende Menge von Märkten auf, in denen sich die Republik längst von ihrer einstigen Spitzenposition verabschiedet hat und nun nach Asien, Amerika auch in Europa Gefahr läuft die "Rote Laterne" zu übernehmen. Längst sind die Niederlande, England, Italien, Spanien und auch Frankreich "aufgewacht", haben zum Teil ihre "Hausaufgaben" schon gemacht und damit Anschluß an den weltweiten Strukturwandel gefunden. Nur wir nicht.

Deutschland liegt einerseits immer noch im, schon lange nicht mehr seligen, Tiefschlaf, andererseits versinkt das Land, nach erfolgter Problemerkennung, immer sofort in grenzenlose Depressionen, warum das alles bei uns nicht geht, nicht funktioniert, nicht zutrifft - eben, ganz anders ist.

Jedes kleine oder mittelständische Unternehmen weiß, daß es ohne Flexibilität, Qualität und Innovation keine Chance hat - fast alle kulturellen oder sozialen Organisationen machen zur Zeit ähnliche Erfahrungen - , sich langfristig am Markt zu behaupten. Klein(er)e Unternehmen haben keine "Subventionsbeschaffungsabteilungen", wissen meist nicht wie man an Staatsaufträge oder Gelder aus Brüssel kommt. Marktnähe, Mobilität und eine extreme Kundenorientierung sind keine Fremdworte für sie. Das lernen, wenn auch mühsam, gerade auch die "Großen" (IBM, Siemens, Daimler Benz, Thysen, Deutsche Bank etc.). Nur wer aus Tankern Schnellboote macht, wer Mobilität und Flexibilität zu einer Grundbedingung erklärt, wer seinen Kunden zuhört und sich deren Wünsche und Probleme sich zu eigen macht, wer seinen Mitarbeitern Raum zu Innovation gibt und "Veränderungen" abfordert, hat mittelfristig eine Chance.

Innovation ist, wenn der Markt "Hurra" schreit, d.h. wenn der Verbraucher begeistert ist. Innovation ist nicht, wenn der Forschungschef im Elfenbeinturm nach 10 Jahren die Glückwünsche seiner Kollegen entgegennimmt. Dr. Von Koerber, Europachef der ABB, beklagt, wie viele seiner Kollegen, daß Forschung in Unternehmen zu weit weg von den Bedürfnissen der Menschen sei, sie sei zu wenig effizient, "Time to Market" sei zu lang, die Arbeitsteilung zwischen Universitäten und der Wirtschaft in Puncto Grundlagenforschung versus Anwenderforschung funktioniere nicht. Statt einem befruchtenden Austausch herrsche, so Clement, eine "Beziehungslosigkeit".

Innovationen brauchen "Klima", dem wirtschaftspolitischen und technologiepolitischen Stau müssen Schleusen geöffnet werden, ohne daß deshalb die sozialpolitischen und ökologischen Folgenabschätzungen vernachlässigt werden. Innovationen beginnen im Kopf. Alternative Energieformen und deren Nutzung, umweltfreundliche Produktionswege, neue Kommunikationstechnologien, vernetztes Denken (a la Vester) im Verkehr, ein präventives Gesundheitswesen, um nur einige Beispiele zu nennen, werden entweder staatlich und von den traditionellen Wirtschaftszweigen "abgeblockt" oder, ideologisch verbrämt, als menschenfeindlicher "Technikglaube" bekämpft. Beides führt zu dem "kulturellen" Befund des Stillstands. Clement schlägt eine Zusammenlegung des Zukunfts- und (z.Z. bedeutungslosem) Wirtschaftsministerium vor, das helfen soll, Klima zu schaffen. In welchen Feldern will die Republik wieder mal gewinnen? Welche Branchen haben in Deutschland Zukunft? Antwort aller auf dem Podium: Umwelt-, Verkehrs-, Informations- und Medizin-/Gesundheitstechnologien.

Wenn die Zukunft der Republik und damit die Zukunft den jungen Generationen nicht (mehr) im völlig verrechteten und vermachteten Öffentlichen Dienst, so Ministerpräsident Schröder, liegt, wenn sie auch nicht mehr zwangsläufig in der ständig Arbeitsplätze abbauenden Großindustrie liegt, sondern im Mittelstand und bei den Unternehmensneugründern, dann muß auch der Staat die Voraussetzungen für ein innovationsfreudiges Klima schaffen. In den USA antworten junge Unternehmer auf die Frage, warum sie sich selbständig gemacht hätten: "Ich will Geld verdienen", in der Bundesrepublik sagt dieselbe Gruppe: "Ich will mich selbst verwirklichen". Solange obskure Abschreibungsmodelle im Immobilienbereich staatlich gefördert werden und "Risikokapitalanlagen" bestraft bis verhindert werden, ändert sich auf diesem Sektor leider gar nichts.

Natürlich kommt der Aus-, Weiter- und Fortbildung eine zentrale Rolle in diesem Szenario zu. Viele Unternehmen erkennen dieses Defizit an praxisorientierter Ausbildung und gehen inzwischen ihre eigenen Wege. Dem deutschen Hochschulwesen empfiehlt Clement eine Neuorganisation. Die Universitäten müssen autonom werden, z.B. über die Bestellung einer Professur selbst entscheiden. Mit Jahresbudgets soll Finanzautorität und eine weitere Abnabelung vom Staat erreicht werden. Der Beamtenstatus eines Hochschulprofessors ist zu hinterfragen, gleichzeitig sind zusätzliche Einkünfte zuzulassen. Universitäten sind mit ihren Jahresetats mit Großunternehmen zu vergleichen, wie sieht das universitäre Management aus? Warum kein Wettbewerb um Drittmittel? Warum werden deutsche Universitäten für ausländische Studenten immer uninteressanter? Warum nicht etwas mehr Wettbewerb der Bildungsinstitutionen untereinander? Fragen, ja fast radikale Denkansätze, über die man durchaus nachdenken sollte.

Das einzig Beständige ist der Wandel.

In diesem Sinne, Ihr

Christian H. Hodeige

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