Geschichte des Jazzhaus

Uli Homann: Die Entstehung des Jazzhauses; Jazzhausjournal Nr.: 1 Oktober 1987 Waldi's Worte Zur Eröffnung Jazzhausjournal Nr.: 1 Oktober 1987
"Musik machen, bis alle Punkte singen" das Freiburger Jazzhaus wird 20 Jahre alt - Christan Hodeige zum 20-jährigen Bestehen des Jazzhaus Freiburg; September 2007
Erste Versammlung der Jazzhausinitiative

Am 6.6.1985 schrieb Waldi Heidpriem:
"An alle Jazzmusiker, Bandleader und kreative Jazzfreunde der Freiburge Szene"
und am 26.6.1985
kamen über 60 Personen zur Gründungsversammlung der Initiative Freiburger Jazzhaus in die Mooswaldbierstube.

Erste Besichtigung des Jazzhauskellers

Erste Besichtigung des Jazzhauskellers im September 1985

Frauenbigband

2.-5.10.1985
Jazztage im Wallgrabentheater
20 Freiburger Bands spielen kostenlos zu Gunsten des Freiburger Jazzhaus.
Am 5.10. treten überall in der Stadt Bands auf, um für das Jazzhaus zu werben.

13.11.1985
"Amtliche Gründungsversammlung" der Vereinigung Freiburger Jazzhaus.
Waldi Heidepriem wird zum 1. Vorsitzenden gewählt.
Jazzhaus im März 87

Das Jazzhausgewölbe im März 1987.

Jazzhaus im September 87

2.September 1987. Fast fertig.

Der Bösendörfer Flügel kommt 10.10.1987. Das Prunkstück des Jazzhaus, der große Bösendörfer Flügel wird angeliefert. Der Flügel, der Miles Davis so neugierig machte, daß er doch ins Jazzhaus kam und eine Stunde darauf spielte.
J.E. Berendt bei der Eröffnung des Jazzhaus 16.10.1987
Feierliche Eröffnung des Jazzhaus Freiburg. Joachim E. Berendt bezeichnet das Jazzhaus als "sicherlich einen der schönsten Jazzkeller der Welt".

17.10.1987
Tag der offenen Tür und offizielle Eröffnung des Jazzhaus für das Freiburger Publikum mit vielen Freiburger Musikern.
ua.; Free Dig Bigband, Albert-Louis-Jazzband, Gigolo -Reinhard Swingtett, The Gang, Meggy Patey Group, Mary Silvester, Frauen-Big-Band, Charlie Roman, Christian Knobel & the Healing Forces, Pulse, Hallelujah Stompers, Picadilly Circuas, Ray Austin, Avocado ...
Miles Davis Am 18.10. startet das Eröffnungsfestival ( mit Albert Mangelsdorff und Wolgang Dauner) dessen Höhepunkt der Auftritt von Miles Davis in der Stadthalle ist. Unvergessen die anschließende Jam-Session seiner Musiker im Jazzhaus.
Enzo mit dem zweitjüngsten von Art Blakey Aber es sind nicht nur die tollen Konzerte, die das Jazzhaus in der Anfangszeit so spannend machen.
Der eine Musiker will ein bestimmtes stilles Mineralwasser, der andere Lederhosen für seine Kinder, der dritte eine Kuckucksuhr usw....
Hier betätigt sich Enzo als Babysitter für die Kinder von Art Blakey.

Die Entstehung des Jazzhauses

Es gilt in dieser Zeitung von einem kleinen Wunder zu berichten: Zwischen der Idee für das Freiburger Jazzhaus und seiner Fertigstellung im Gewölbe unter dem Goethe-Institut an der Wilhelmstraße liegen nicht einmal drei Jahre. Dabei schießen neben den Preußen im allgemeinen auch die Alemannen nicht so schnell. Bei der Betrachtung städtischer Abläufe fällt dies des öfteren auf.Man denke nur an die geplante Kultur und Tagungsstätte. Freiburg braucht so ein Zentrum, sagen Planer schon seit mindestens zehn Jahren. Bis es gebaut sein wird, sind dann vielleicht fünfzehn Jahre vergangen. Praktisch im Handumdrehen dagegen entstand das Jazzhaus. Dessen Existenz und rasche Geburt ist vor allem Oberbürgermeister Rolf Böhme zu danken. Waldi Heidepriem, Vorsitzender der Vereinigung Freiburger Jazzhaus, wird nicht müde, dies immer wieder zu betonen.

Jazzklänge eines Konzerts beim Zelt-Musik-Festival 1985 hatten drei Herren noch in den Ohren, als sie .sich zu einem Umtrunk zusammensetzten. Es waren Oberbürgermeister Rolf Böhme, Waldi Heidepriem und ein "dritter Mann". Böhme, Jazzfreund seit seinen Freiburger Studienjahren, überraschte seine Gesprächspartner zu vorgerückter Stunde mit einer elektrisierenden, Idee. Unter dem Goethe-Institut an der Wilhelmstraße befände sich ein Gewölbekeller, dessen Optik und Ausmaße beeindruckend seien - mit Worten kaum zu beschreiben. Der ,heiligen Halle' wollten Planungsmenschen den Garaus machen, mittels Einbau einer Tiefgarage. Der OB berichtete es mit Grausen. Nur gut, fuhr er fort, daß er selbst den Keller in Augenschein genommen habe. Kaum zurück im Amtszimmer, gab er seine Ablehnung des Tiefgaragenprojekts zu Protokoll. -Als Frevel erschien es ihm, so eine Liegenschaft zu schleifen, nur um automobiles Blech darin zu horten.

Musik statt Motorenlärm, Tabakrauch statt Abgasen, Raum für Kultur statt Parkraum - dies muß dem OB angesichts des Gewölbes durch den Kopf geschossen sein. Jedenfalls hatten seine Gesprächspartner diesen Eindruck, als er, an Waldi Heidepriem gewandt, mit folgendem herausrückte. "Das wäre ein Jazzkeller wie aus dem Bilderbuch." Die Stadt läßt den Keller ausbauen, wenn die Musiker mitziehen, zunächst Eigenarbeit leisten und später den Betrieb übernehmen - das war die Botschaft des Oberbürgermeisters in jener Nacht und Waldi Heidepriem hörte sie wohl. Der Glaube fehlte ihm in diesem Fall nicht: "Es haben mir schon viele tolle Keller angeboten und dann ist nichts daraus geworden. Doch auf das Wort eines Oberbürgermeisters, dachte ich, da kannste was drauf geben."Der äußert sich sozusagen mit königlicher Gewalt.

Der Freiburger Ober-Jazzer, mit seinen Bands in Europa zur Spitzenklasse zählend, sollte sich tatsächlich nicht täuschen. Zwei Faktoren waren dafür mitverantwortlich: Der "dritte Mann", der bei dem Gespräch anwesend war, veranlaßte den OB, wie er später mal einräumte, zur Festigkeit in Sachen Jazzhaus. Er habe sich keine Blöße geben wollen nach dem halbamtlichen Versprechen, auch wenn ihn angesichts der Kosten zwischenzeitlich mal ein kleiner" längst wieder verflogener Zweifel ergriffen hätte. Der zweite, bedeutendere Faktor lag in der Person von Waldi Heidepriem. Er rief, so schnell es ging, die Freiburger Jazz- und Rock-Musikerinnen und -Musiker zusammen zur Gründung der "Vereinigung Freiburger Jazzhaus". Im Juni 1985 kamen zum ersten Treffen 130 Leute, eine tolle Resonanz, und nach den Erzählungen von Vater Heidepriem waren die nachfolgenden Jazz-Generationen Freiburgs, so sie anwesend waren, ganz heiß auf das Projekt. "Wenn's jetzt nicht klappt" sagte Waldi im Juni 1985, "dann klappt es nie".

Und wie es klappte. Im Juni 1986 hatte der Gemeinderat das Wort, Zustimmung zu dem Projekt, das ja immerhin einiges mehr als eine Million Mark Investitionskosten erfordert, kam von allen Fraktionen - begeisterte Zustimmung sogar. Für die CDU sprach Stadträtin Margit Lemmer von einem "großen Bedarf", SPD-Sprecher Thomas Landsberg nannte die nicht . eingetretene Eventualität eines Tiefgaragenhauses eine "Barbarei", Henry Breit von den Grünen warf in die Debatte, jede kulturelle Nutzung sei besser als die Anlage von Autostellplätzen. Einstimmig votierten die Ratsmitglieder für die Einrichtung des Jazzkellers, und Freie-Wähler-Stadtrat Heinz Schäfer resümierte: Das Geld ist gut angelegt."

Planung, Umbau und Ausstattung liefen für städtische Verhältnisse anschließend wie am Schnürchen, der Drive der Jazzer beflügelte, die Sponsorenschaft der Fürstlich Fürstenbergischen Brauerei spornte an, und das Wissen, daß die Sache dem OB persönlich am Herzen lag, machte vielen Beine. Wer mitgeschafft hat auf den Ämtern, entwickelt indes selbst ein Faible für das Freiburger Jazzhaus, von dem seit zweieinhalb Jahren der Vorsitzende Heidepriem immer schon zu sagen wußte, es werde "Europas schönster Jazzkeller". Wie gesagt: Alle beteiligten städtischen Ämter und andere Institutionen waren engagiert in der Sache. So blieb's nicht beim Projekt des OB und seines Freundes Heidepriem, zumal die Jazzhaus-Vereinigung sich einen klug zusammengestellten Vorstand erkor. Er arbeitete zusammen wie eine Spitzen-Big-Band, an allen Instrumenten die richtigen Leute. Direktor Dr. Reinhard Kreusch, der Mann für die Finanzpolitik, für "Moral und Recht" der Staatsanwalt Bernd Bertsch, dazu die Kassiererin Hanna Schüly, Leiterin, der ersten Freiburger Frauen-Big-Band, Oberstudiendirektor Reinhard Stephan als Begründer der Freiburger Jazz-Schule, Rechtsanwalt Christian R. Fernow als Justitiar. Sektionsleiter standen ihnen zur Seite, mit Aufgaben im Bereich Bau und Gastronomie (Mathias Heidepriem und Frank Geisler) sowie beim Programm: Gerhard Muffler und Christian Knobel versorgen das Jazzhaus mit modernem Jazz, Ray Austin und Charlie Roman sind verantwortlich für Folk und Dixie, Frank Geisler steht für das Rockprogramm und Werner Engler hat die Big-Bands und die Angebote der Freiburger Jazz- und Rockschule unter seinen Fittichen. Sie alle sollen einem Ziel verpflichtet bleiben: Freiburger Musikern Spielmöglichkeiten zu geben und vor allem die Chance, von erfahrenen Kollegen bei Gastspielen zu lernen.

Uli Homann


Waldi`s Worte

Gedanken und Dankschreiben an die Stadt Freiburg in der ersten Ausgabe der Freiburger Jazzhaus-Zeitung zur Eröffnung des Freiburger Jazzhauses von Waldi Heidepriem (l. Vorsitzender).

Genau 28 Monate sind vergangen vom Beginn der Jazzhaus-Idee bis zur heutigen Eröffnung am 17. Oktober 1987, Für dieses schwierige und einmalig schöne Projekt eine relativ kurze Zeit.

Mit das Wichtigste bei der Jazzmusik ist das richtige Gefühl, der Instinkt für das Timing - der spezielle Rhythmus - das Zwingende Moment - das Gefühl für die perfekte Gestaltung des Themas und der Improvisation. Ein göttliches Gefühl bewies auch unser Stadtparlament, unsere Stadtregierung und die gesamte Verwaltung. Die einstimmige Befürwortung dieses Kulturprojektes in allen Punkten kann ich nur mit göttliches Eingebung bezeichnen.

Noch heute bekomme ich feuchte Augen, wenn ich zurückdenke an die feurigen und begeisterten Reden der Stadträtinnen und Stadträte zu dieser Jazzhaus-Idee. Die Anerkennung und Begeisterung der Stadtleute haben mich persönlich unheimlich inspiriert, motiviert und verliehen mir unter der Birnendecke jugendliche Kraft!

In der Aufbauzeit hatte und habe ich mit sehr vielen Leuten der Stadt zu tun, und ich bin begeistert von diesen Menschen, die für unsere einmalige Stadt arbeiten!

AN DIESER STELLE EIN HERZLICHES DANKE AN ALLE.

Mein Dank gilt auch an die mittelbar verbundenen Personen und Institutionen, die alle freundlichst und wohlwollend dieser Einrichtung zustimmten. Für die Zukunft biete ich allen Nachbarn eine freundschaftliche und hilfsbereite Zusammenarbeit an. Für mich gibt es kein Problem, das nicht gelöst werden kann!

Nun möchte ich noch unsere Vereinigung vorstellen, damit Sie wissen, was wir zukünftig verwirklichen wollen und wer da alles dabei ist.

Wie Sie bestimmt wissen, hat ein künstlerisches Unternehmen (dazu noch in dieser Größe) zwei Seiten: die Ideelle und die Finanzielle. Da fast alle Musiker Idealisten sind, liegt das Problem auf der pekuniären Seite. Meine Erfahrungen der letzten 40 Jahre im Jazzgeschäft haben mir nur eine Alternative gelassen, dieses Projekt in jeder Beziehung auf Dauer erfolgreich durchzuziehen, nämlich: den Zusammenschluß sämtlicher regionaler Musiker, Musikgruppen musikalische Interessenvereine und Freunde dieser Jazzhaus-Idee!

Dies alles hat sich nun in den letzten 28 Monaten verwirklicht.

Unsere Jazzhausvereinigung besteht aus vielen regionalen und überregionalen Jazzmusikern aller Stilrichtungen, Folk-, Blues- und Countrymusikern, Rockmusikern, Mitglieder selbständiger Veranstaltungsvereine, viele Freunde der Jazzhaus-Idee. Dazu gehören auch Musiker der sogenannten klassischen Zunft. Also eine richtige Dachorganisation für musikalische Angelegenheiten.

Um die erheblichen Folgekosten zu tragen und Konzerte durchfuhren zu können, brauchen wir sehr viele und vor allem sehr gute Leute. Ich bin stolz darauf zu sagen, daß unsere Vereinigung das alle vorweisen kann. Im Laufe der Zeit werden unsere Arbeiter' und der gesamte Vorstand in dieser monatlich erscheinenden Jazzhaus-Zeitung vorgestellt. Eine funktionelle Vorstellung des Vorstandes und der Sektionsleiter sowie der Gastronomie ersehen Sie im Innern der Zeitung.

Mein wichtigstes Anliegen in diesem Unternehmen ist die Pflege der Jazzmusik. Das Pflegen heißt das Verbessern und Vervollkommnen des Bekannten, die kritische Förderung des Neuen, des Experimentellen und die Pflege und Ausbildung des Nachwuchses, besonders der Jugend. Besonders erfreulich ist das Engagement der Freiburger Jazz-&Rockschule:Förderung der Freiburger, überregionalen, deutschen Gruppen, Stipendien für außergewöhnlich begabte Musiker und Musikerinnen. Einige habe ich in den Vorbereitungsjahren kennengelernt und, wenn genügend Geld in der Kasse ist, können wir diesbezüglich einiges verwirklichen.

Auch die Stars wollen wir einladen und engagieren. Bekannte Freiburger Veranstalter sind mit ihrem Verein Mitglied und werden die internationalen Kontakte knüpfen. Der eine oder andere Star wird den einheimischen Gruppen zugewiesen und wird Workshops und gemeinsame Konzerte im Jazzhaus bestreiten. Um als Jazzmusiker weiterzukommen sind diese Kontakte unheimlich wichtig. Gerade diese Sessions sind in der Regel sehr packend und unterhaltsam, da sich jeder Musiker bis zum Geht-nicht-mehr anstrengt.

Einige dicke Fische haben wir gleich in den ersten Eröffnungswochen (siehe Programmtafel). Gleich bei der ersten Stargruppe am Sonntag, . den 18. 10., ist mein Sohn Thomas dabei, und darauf bin ich besonders stolz Er spielt nicht wg. Vitamin B, sondern weil er zu diesen Leuten schon lange gehört! Thomas bekam am 22. September den Bad.-Württemberg. Jazzpreis verliehen. Dieses Konzert widme ich ihm und meiner Familie! Ich bin sonst nicht für Ehrungen, aber ein Künstlertyp braucht ab und zu eine ehrliche Anerkennung, an diesem Tage hat er sie verdient!

Mein dritter Sohn Lukas spielt sehr gut die Posaune, und er wird mit seiner Stuttgarter Funk-Band am gleichen Abend den zweiten Teil bestreiten. Es ist eine typische Newcomer-Band, und ich habe darüber nur Gutes gehört.

Mein zweiter Sohn Matthias ist. mitverantwortlich für die Gastronomie. Bei Gigolo Reinhardt spielt er die Geige, im Freiburger Wallgrabentheater spielt er ab und zu Theater mit Ingeborg Steiert und Heinz Meier. Er hat wesentlich an der Aufbauarbeit für das Jazzhaus gearbeitet.

Mein vierter Sohn Sebastian beginnt nun das Abitur, und er ist zusammen mit meiner geliebten Frau Christalene der ruhende und geistige Pol, ohne den eine kreative Familie nicht leben kann.

Zum Schluß möchte ich noch drei Dinge erwähnen, die mir sehr wichtig sind.

Das Engagement der Freiburger Jazz- & Rockschule ist musikalisch sowie theoretisch sehr breit gefächert, und sie haben jeden Montag das Jazzhaus fest im Griff. Es werden u. a. Vorträge und Diskussionen, Musikporträts und Workshops stattfinden. Mit die unterhaltsamsten Konzerte der letzten zwei Jahre waren für mich die Semesterabschlußkonzerte der Jazz- & Rockschule. Sehr erfreulich und abwechslungsreich die große Zahl der Musikerinnen-Frauen-Bands und Sängerinnen. Ohne Frauen ist auch die Musik manchmal öd und leer ...!

Großen Dank an dieser Stelle an die großen Mäzene unseres Freiburger Jazzhauses. Selbstverständlich steht die Stadt Freiburg mit ihren Bürgern an erster Stelle. Um niemandem Unrecht zu tun, möchte ich jetzt hier diese drei-, vier-, fünfstelligen Spender nicht nennen, aber wenn Sie sich im Jazzhaus umsehen, werden Ihnen die Namen nicht entgehen. Auch in dieser Programmzeitung werden sie an gegebener Stelle stehen.

Größten persönlichen Dank an unseren Freiburger Oberbürgermeister Dr. Rolf Böhme. Ich möchte enden mit einem Zitat über ihn, das ich in den letzten zwei Jahren von großen, alten, weltweit bekannten Freiburger Kulturträgern einstimmig gehört habe: "'s isch wirklich e Glücksfall für unsere Kultur, daß der Böhme Oberbürgermeister gworde isch ...!"

Ich sage nicht nur für die Kultur!

Herzlichst Euer Waldi Heldepriem


„Musik machen, bis alle Punkte singen“ das Freiburger Jazzhaus wird 20 Jahre alt

Bei der Feier zum zehnten Geburtstag des Freiburger Jazzhauses erzählte der inzwischen verstorbene deutsche Jazz-Papst Prof. Joachim-Ernst Berendt folgende Geschichte: Da lebte in einer kleinen galizischen Stadt ein Kantor, der wunderbar singen konnte. So wunderbar, dass er weithin bekannt war. Einmal wurde er gefragt: „Wie machst Du das, dass Du so wunderbar singen kannst?“ Darauf der Kantor: „Ich singe immer einem Punkt zu!“ „Warum machst Du das?“ „Ich mache das, damit der Punkt zu mir singt.“ „Machst Du das immer?“ „Ja, bis alle Punkte singen!“ Darauf schließt Berendt seine Ansprache mit dem Satz: „Liebe Freunde, ist das nicht der Sinn aller Musik, das Ziel aller Musiker unseres Planeten, besonders der improvisierenden: Musik zu machen, bis alle Punkte singen.“ Schöner kann man das Wesen der „wichtigsten Kunstform des 20. Jahrhunderts“, des Jazz, und das Streben seiner Interpreten nicht auf den Punkt bringen. Jazz ist nicht nur triumphierende Musik, wie Martin Luther King gesagt hat, sondern immer auch Antrieb, oft Lebensinhalt vieler musikbesessener Menschen gewesen.

So war es auch in Freiburg: Die Geschichte des Jazz in der Stadt und des Freiburger Jazzhauses trägt einen Namen: Waldi Heidepriem. Er war der Motor der Jazzszene, die sich seit den 50er Jahren in Freiburg entwickelte, er war der Bandleader, der Arrangeur und der Pianist mit so eigenem Stil, er war ein unermüdlicher Aktivist in Sachen Jazz. Sein nachhaltigstes Kulturwerk ist sicher „Europas schönster Jazzkeller“.

„Hallo Waldi, Du, jetzt hab’ ich einen super Jazzkeller gefunden und den hast Du zu managen!“ rief im Juli 1985 der damalige, jazzbegeisterte OB Rolf Böhme Heidepriem, seinem Freund aus Studententagen, zu. Im Oktober 1987 öffnete die Vereinigung Freiburger Jazzhaus e.V. die Tore im wunderbar hergerichteten, früheren Weinkeller an der Schnewlinstrasse.

Heidepriem hatte das Kunststück fertig gebracht, die Freiburger Rockinitiative, den Folk- und Bluesclub, die Jazz- und Rockschule und die Oldtime-Jazz-Initiative unter einen Hut zu bringen und allen Veranstaltungsmöglichkeiten anzubieten. So war das Jazzhaus von Anfang an als ein Mehrspartenhaus konzipiert, das ist es bis heute, trotz vieler Widrigkeiten, geblieben. Allerdings: die Lebensfähigkeit des Vereins stand vom ersten Tag, ob nun wahrgenommen oder nicht, immer als heimlicher Top 1 auf der Tagesordnung der Vorstandssitzungen. Dass es über die Runden kam, verdankte das Haus anfangs dem außerordentlichen politischen Geschick Heidepriems, den gut gefüllten Stadtkassen und dem unerschütterlichen Glauben aller Macher, man werde auch bei weniger Einnahmen „sicher nicht im Stich gelassen“. 1994/95 kam die erste Krise, als der Gemeinderat darüber nachdachte, die eher bescheidenen Zuschüsse zu kürzen. Auch der Autor dieser Zeilen war inzwischen in den Vorstand gewählt und mochte nicht wahrhaben, dass ein inzwischen weit über die regionalen und nationalen Grenzen hinaus bekannter Jazzkeller um sein Überleben kämpfen musste, der Künstlern wie Miles Davis, Art Blakey, Cecil Taylor, Cassandra Wilson, Dee Dee Bridgewater, Dianne Reeves, aber auch Maceo Parker, Kool & The Gang oder Public Enemy, Ice T, Black Uhuru, Mink de Ville, Roger Chapmann, Blood Sweat & Tears, Die Sterne, Rammstein, Philip Boa oder Soul Asylum und John Zorn eine Bühne gab. Eine engagierte Lobby- und Presse-Arbeit, sowie die Unterstützung neuer Sponsoren konnten das Schlimmste verhindern.

Dann starb der große Kommunikator, mit seinem unverwechselbaren Waldi-Speak, und Vorsitzende im Oktober 1998. Heidepriem, der seine Kritiker kurzerhand zu weiteren Vorständen machte, der seinen absolutistischen Führungsstil durchsetzen konnte, weil alle wussten, dass er sich bis zur Selbstaufgabe für seine musikalischen Vorstellungen und sein Jazzhaus einsetzte, war plötzlich nicht mehr da. Schon länger gab es im Vorstand eine kleine, aber wachsende Gruppe um den Autor, der inzwischen auch zum ersten Vorsitzenden, neben Heidepriem, gewählt wurde, die sich ernsthaft um die Professionalität der Vereinsarbeit sorgte. Es galt, das Jazzhaus mit seiner Gastronomie als Veranstaltungsort erfolgreich, das hieß mehr als kostendeckend, zu betreiben. Und es galt, als Musikveranstalter aufzutreten, der sich einerseits dem Vereinszweck, der Förderung des Jazz und verwandter Musikbereiche sowie der Förderung des Nachwuchses verschrieb, aber natürlich auch auf Wirtschaftlichkeit zu achten hatte. In den Jahren um Heidepriems Tod hatte sich ein stetig steigendes Defizit gebildet. Weniger Zuschüsse, das extrem gewachsene Kulturangebot in der Stadt Freiburg und der hart umkämpfte Sponsorenmarkt, sowie steigende Gagen und ein nachlassendes Publikumsinteresse für große Jazz-Acts hatten auch im Freiburger Jazzhaus ihre finanziellen Spuren hinterlassen. Dazu kam viel Hausgemachtes: viele verschiedene, mal ehrenamtliche, mal bezahlte Vereinsveranstalter, die zäh ihr Spartenprogramm verteidigten. Immer öfters ausbrechende Animositäten unter den Vorständen: „Mein Zimmer ist so groß wie Dein Auto“, und als Vorsitzender kein Musiker, sondern ein Unternehmer, dessen beruflich geschärfter Blick für wirtschaftliche Zusammenhänge viele nicht folgen konnten, wollten oder sollten, und dem einige Vorstände sogar noch unterstellten, er wolle sich das „runtergewirtschaftete Jazzhaus privat unter den Nagel reißen und dann groß Kasse machen“. Kurz, der Patriarch Heidepriem fehlte an allen Ecken und Enden. Ein „richtiger“ Geschäftsführer mit Weisungsbefugnissen und eine neue Vereinsstruktur sollten installiert, der dreizehnköpfige Vorstand sollte als Kontroll- und Führungsorgan neu definiert werden, das war das Ziel. Doch schon im Vorstand legten sich einige quer, so richtig "gerumst" hat es dann auf den ersten beiden Mitgliederversammlungen nach Heidepriems Tod. „Scharfe Töne auf heißem Pflaster“ titelte die BZ, „Beinahe- Putsch im Jazzhaus“ war die Überschrift im Sonntag. Obwohl der verstorbene Vorsitzende überzeugter Bebopper gewesen war, machten ausgerechnet die Freunde des Old-Time- Jazz, mit dem Schlachtruf „Für de’ Waldi“ Front gegen die Neustrukturierungspläne einer Mehrheit des amtierenden Vorstandes. Es formierte sich weiterer Widerstand in einer anderen Gruppe um Herbert Schiffels, die verhindern wollten, dass das Jazzhaus „schleichend“ zu einem Betrieb umfunktioniert wird, „der alles veranstaltet, was Geld zu bringen verspricht“. Die angestauten Emotionen kochten hoch, Rücktrittsdrohungen und Beleidigungen waren an der Tagesordnung. Bestimmte Gruppierungen in Freiburg erwachen pünktlich immer dann, so scheint es jedenfalls, wenn’s Krach gibt und man den bemühten Kulturkampf zwischen „Oben“ und „Unten“ zu führen glaubt. Eine außerordentliche Mitgliederversammlung brachte zwar noch keine Klärung, doch der Ton hatte sich wieder etwas beruhigt. Die turnusmäßigen Vorstandswahlen im Jahr 2000 brachten nochmals emotionsgeladene Abstimmungsschlachten - und dann die Wende. Der Autor setzte sich gegen Ray Austin mit einer 2/3 Mehrheit als Vorsitzender durch, eine Vorstandsliste aus amtierenden Vorständen und neuen Kandidaten aus der Gruppe Schiffels obsiegte. Der Vorstand hatte zwar immer noch 13 Mitglieder, doch - und das war der aus heutiger Sicht zentrale Fortschritt - eine Neuausrichtung des Hauses in Richtung professioneller Leitung und wirtschaftlich vertretbaren Handelns wurde damit beschlossen. Das alles ging nicht ohne personelle Verwerfungen, der Konsolidierungs- Prozess wurde insbesondere in der „Zeitung zum Sonntag“ voller Häme kommentiert: „Ein paar subventionierte Jazzkonzerte im Jahr und lauschige Vereinsabende mit den Beteiligten. Der Rest läuft kommerziell. So ein Kulturbegriff ist ignorant, wenn nicht gar reaktionär.“ Man war auf einem steinigen Weg, das war auch dem neuen Vorstand klar.

Dann kam das Finanzamt und stufte die Geld bringenden Clubabende am Wochenende im Jazzhaus, die Funky-Dance-Nights, plötzlich nicht mehr als Kultur ein, sondern als rein kommerzielle Veranstaltungen ein und forderte große Steuernachzahlungen. Nach gerade überstandenem Generationenwechsel schwebte jetzt ein Damoklesschwert über dem Jazzkeller, welches das endgültige Aus bringen konnte. Im März 2001 schrieb der Autor an seine Vorstände: „Es gibt meines Erachtens keinen anderen Weg, als eine strikte Trennung des Vereinslebens vom Betrieb des Jazzhauses und dessen Veranstaltungen.“ Es wurde rege am Konzept einer Betreibergesellschaft gebastelt, die sowohl die Gastronomie und die Verwaltung des Hauses in eigener Regie übernehmen und eigene Konzerte veranstalten sollte.

Glücklicherweise fand man in Michael Musiol, Gerrit Kossman und Raimund Flöck drei Personen, die alle schon im Jazzhaus Konzerte veranstalteten und mit eigenem Geld nicht nur den Verein von ungefähr der Hälfte seiner Schulden entlasten, sondern auch in die inzwischen dringend notwendige Sanierung des ehrwürdigen Gemäuers investieren wollten. Da der Verein immer auch als Gesellschafter der neuen GmbH vorgesehen war, war eine völlige Transparenz, auch für die städtischen Zuschussgeber, des wirtschaftlichen Geschäftsverlaufes der Betreibergesellschaft sicher. Als alle Verträge ausgearbeitet wurden und die Sanierung im Jazzhaus schon begonnen hatte, gab es nochmals eine Schrecksekunde, weil über die Höhe der städtischen Zuschüsse zu den Sanierungskosten keine Einigkeit erzielt werden konnte. Die Baustelle lag einige Wochen brach.

Der Autor dieser Zeilen, der langsam verzweifelte, brachte letzte Überzeugungskräfte auf, und dank einer Bürgschaft der Stadtwerke sowie einem Sponsoring der „Badenova“, das die völlige Erneuerung der Elektrik beinhaltete – beides war der schnellen und unbürokratischen Hilfe des Vorstandes Adalbert Häge geschuldet – wurde Ende September 2001 ein vollkommen renoviertes Jazzhaus der Öffentlichkeit vorgestellt. „Es ist ein Wunder, dass es das Haus noch gibt!“ sagte der als Vorsitzende scheidende Autor bei der Mitgliederversammlung nach der Neueröffnung und schlug Herbert Schiffels, Lehrer, Bandleader und Musiker, als seinen Nachfolger vor. Es wurde auch endlich ein verkleinerter, sehr handlungsfähiger Vorstand neu gewählt. Alle Beteiligten, die Stadt, das Finanzamt, die Banken und viele Gläubiger, natürlich auch die Sponsoren der ersten Stunde, wie die Häuser Fürstenberg, Rombach Verlag, Badische Zeitung und später Freiburger Druck, hatten ihren Anteil am Gelingen des Neuanfangs. Der Verein hat nicht einfach Konkurs angemeldet, als der Karren tief im Morast stand, darauf ist man heute zu Recht stolz. Unter Schiffels ist die begonnene Entschuldung konsequent weitergeführt worden, der Verein wird sich sehr bald völlig erholt haben und sich dann wieder seinen originären Aufgaben verstärkt zuwenden können. Das Jazzhaus Freiburg mit seiner neuen und zukunftsfähigen Struktur ist auch ein Beispiel gelungener Private-Public-Partnership, die die gemeinnützigen Ziele des Vereins mit den wirtschaftlich notwendigen Zielen der Betreibergesellschaft sinnvoll verbindet und somit den langfristigen Bestand des Jazzkellers sichert.

„Jeder hat den Blues. Jeder sucht den Stern. Jeder will lieben und geliebt werden. Jeder will Glück. Jeder sehnt sich nach Glauben, Musik – und ganz besonders der Jazz – ist ein Schritt zu alledem“ so nochmals Martin Luther King. Wir machen also weiter: „Bis alle Punkte singen!“

Christian Hodeige

September 2007