Jazzhausjournal Dezember 1997

jjaug98g.jpg (52134 Byte)Editorial

"Lore lied" - Festival Nachlese

Manchmal hatte ich das Gefühl, jetzt wird er gleich umfallen. Immer wieder mußte er sich am Piano festhalten, hatte man bei seinen spärlichen "Wanderungen" auf der Bühne den Eindruck, er müsse sich auf’s Äußerste darauf konzentrieren, ein Bein vor das andere zu setzten. Dann immer wieder seine Intro’s, anfangen, aufhören, angestrengt zuhören, wieder anfangen, spärlich, zurückhaltend, tiefe Töne, die wie aus einem Tenorsaxophon klingen, aber doch auf einem Sopransaxophon gespielt sind, Klangbilder, die auch Stan Getz in seiner späten Phase hätte spielen können. Der Dialog, die Kommunikation zweier Musiker, der eine kann sich vor Energie kaum zurückhalten, läßt seinem Können, seiner Energie nur hin und wieder freien Lauf, "Eruptionen" im Bebop, die sofort wieder unterbunden werden, dann wieder "Einlagen" aus der Klassik, der andere ist manchmal in seinen minimalistischen Phrasierungen so weit weg, daß man ihn in einer anderen, von tiefer Melancholie und Ergriffenheit gezeichneten Dimension wähnt.

Alles wird seziert, wird in seine kleinsten Einzelteile "zerschnitten", Improvisationen, die manchmal sich völlig zu verlieren drohen und doch, brilliant eben, zu einem "Gesamtkunstwerk" beitragen, das einem fast zwei Stunden fesselte. Die Rede ist vom Hancock + Shorter Konzert im Jazzhaus am 05.11., einem Höhepunkt des 10jährigen Festivalzyklus’ in diesen Wintertagen. Die beiden Giganten der zeitgenössischen Jazzszene haben dem Geburtstagskind einen unvergesslichen Abend beschert. Sonst nur auf Großbühnen während ihrer sechs Monaten andauernden Tour zu Hause, machten sich beide zwar über den etwas "reduzierten Luxus" der "Künstlerkabine" im Jazzhaus lustig, die knisternde Stimmung im ausverkauften Haus inspirierte das Duo zu Höchstleistungen. Ich wage es zu schreiben, ein "taoistischer" Abend, der wenn man sich auf ihn einstellte, Stimmungen erzeugte, die heute in der lauten, schnellen, sich immer wieder überstürzenden Zeit seltener sind. Besser kann man sich auf die Weihnachtszeit gar nicht einstimmen.

"Die sind so gut, die wissen vor lauter Brillianz überhaupt nicht mehr wie sie spielen sollen". "Wahnsinnig! Die Clubatmosphäre hat beide unheimlich beflügelt". "Ich hatte mir aber etwas ganz anderes vorgestellt, so ein "stranges" Maiden Voyage habe ich noch nie gehört". "Endlich mal kein Schlagzeug, eher Kammermusikatmosphäre. Super!", nun, es wird heute noch kräftigst darüber debatiert wie "Hier die Brillianz, da die Seele" (BZ, 07.11.) auf einen wirkte. Beide spielen seit über dreißig Jahren zusammen, beide sind Innovatoren, beide haben mit fast allen musikalischen Stilrichtungen experimentiert, beide waren eigentlich schon "überall" und doch haben beide sich noch unendlich viel "zu sagen", blickt Shorter fragend, mal zustimmend, mal fragend den Kopf schüttelnd zu Hancock, treiben sich beide durch Labyrinte, die die Themen oft nur erahnen liesen. Zeitgenössischer Konzept-Jazz, der von Miles Davis "erfunden" und von Hancock, Corea oder auch Jarrett, um nur mal die Pianisten zu nennen, maßgeblich geformt wurde.

"The next piece is called "Manhatten Loreley" - Why didn’t somebody tell all those people ( die da im Rhein absoffen) that Lore lied" - ein Shorter Joke, der den Abend mit seinem "um die Ecke-Witz" bestens charakterisiert. Ich werde noch lange von diesem Ausnahme-Konzert zehren.

Obwohl es noch gar nicht fertig ist, während ich diese Zeilen schreibe, war es eines der erfolgreichsten Jazzhaus Festivals, die das Haus jeh veranstaltet hat. Das sehr abwechslungsreiche Programm fand viel Anklang. Auch einige der "Berufskritiker des Jazzhauses" mußten zugeben: das war nicht schlecht. Besonders muß ich noch einmal den Sponsoren danken. In einer Zeit, in der sich der Staat aus vielen sozialen und kulturellen Bereichen zurückzieht, muß es den Kulturschaffenden gelingen, zusätzliche Mittel aus der "Wirtschaft" zu bekommen, wenn die Qualität nicht auf Dauer leiden soll. Wir müßen solche unterstützenden Maßnahmen endlich aus der "Ecke" des "darüber schweigen wir beschämt" herausholen und potentiellen Geldgebern das Gefühl geben, daß Kultursponsering willkommen und notwendig ist. Wir bedanken uns bei der Sparkasse Freiburg, bei der Marco-Unternehmensgruppe, bei Gödecke/Parke-Davis, bei der FEW, bei Poppen&Ortmann, bei der Badischen Zeitung, bei O-ton, bei der Volksbank Freiburg, bei Coca-Cola und bei Christian Fernow für ihre Unterstützung. Ganz ohne Scham, ohne diese Firmen wäre dieses Festival nicht zustande gekommen.

Frank Geisler und seinem Gastronomie Team, den hart arbeitenden Frauen und Männer hinter der Theke sei von dieser Stelle auch einmal gedankt. Unsere Gastronomie ist ja weit mehr als ein Kneipenbetrieb, sie gehört zu diesem Keller wie die Konzerte. Professionelles arbeiten ist die eine Sache, Seelsorger, Therapeut, Freund und Gesprächspartner sein ist die andere. Atmosphäre kommt immer nur mit den handelnden Personen, große Kontinuität, Durchhaltevermögen, Freundlichkeit, einen ausgeprägten Sinn für Humor, alles Attribute die auf Frank Geisler und sein Team zutreffen. Da weiß man, was man hat.

"You like Jazzhaus? Then you must go there" - mit diesen dem Großen Vorsitzenden in den Mund gelegten Worten möchte ich Sie auf die Weihnachtszeit einstimmen. Waldi-Speak auf Englisch, eine neue Variante. Hoffentlich war ihm die Gesundheit hold an seinem Abend, der "Speed-Session" mit einer All-Star Besetzung , "You like Horace Silver Pieces? Then you must listen". I do like Horace Silver pieces and I did listen und vor unserem nächsten Amerika-Urlaub machen wir noch ein bißchen Englisch Nachilfe. Das Jazzhaus wird nächstes Jahr einige organisatorische Veränderungen vornehmen, die das Haus noch attraktiver für seine Besucher machen wird. In der einer der nächsten Ausgaben des Jazzhaus Journals möchte ich sie Ihnen vorstellen.

Im Namen aller im Jazzhaus Wirkenden, im Namen von Willi König, im Namen aller Autoren und der gesamten Journal-Crew wünsche ich unseren vielen Lesern ein schönes, ruhiges Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins hoffentlich erfolgreiche Neue Jahr.

Ihr,

Christian H. Hodeige

Programm Dezember 199

Montag 1 Jam-Session der Jazz- und Rockschule Freiburg
Dienstag 2 Ezio  
Mittwoch 3 La Noche de la Salsa
Donnerstag 4 Dixie - Stammtisch - Session
Freitag 5 Tabasco  
Samstag 6 Beatles Night
The No Plastic Band
Sonntag 7 16 - 18h Tanztee: Rolf Dresmann Band
21h Modern Jazz Session Time
Montag 8 Karlheinz Miklin Quartett
featuring Adam Nussbaum
Dienstag 9 Folkrock :
Iona
 
Mittwoch 10 A new dimension in German jazz
Jamenco Group
Donnerstag 11 Sidney Selby's Gospel Roots
Freitag 12 The Brothers
Samstag 13 Karies
ThreeX
Sonntag 14 16 - 18h Tanztee: Wilfried Schneider Quartett
21h Tango Nacht
Anitah Rafael
Montag 15 Jazz- und Rockschule Freiburg:
Space Band 3
feat. Gary Barone
Dienstag 16 Folk & Jazz
Stefan Amannsberger & Walter Jungwirth
Mittwoch 17 La Noche de la Salsa
Donnerstag 18 Swing and Mainstream Jazz
Albert Louis Jazzband
Freitag 19 Jazz- und Rockschule Freiburg
X-mas Party
Samstag 20 R&B, Soul and Rockjazz
Fahrenheit
Sonntag 21 16 - 18h Tanztee: Rolf Dresmann Band
21h Modern Jazz Session Time
Montag 22 Keine Veranstaltung
Dienstag 23 A funky X-mas Party mit DJ Rainer Trüby  
Mittwoch 24 Remembering Luther Allison
Mary Sylvester's Gospel Joy
Donnerstag 25 Merry Mex- Mas
El Vez
featuring The Lovely Elvettes & The Memphis Mariachis
Freitag 26 Hip Hop, Drum & Bass, Dub, Trip Hop, Jungle & Roots
Trumystic Sound System, MC Sensational, Dr Israel
(All from Brooklyn NYC)
Samstag 27 Reggae & Ska
Laurel Aitken
Sonntag 28 16 - 18h Tanztee: Wilfried Schneider Quartett
21h Modern Jazz Session Time
Montag 29  
Dienstag 30  
Mittwoch 31 And The Beat Goes ON
70er Jahre Dance Party
 

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